Prof. Dr. phil. Ralf Lankau:
Digital first und Mobil only,
Die Corona-Welle reiten. Beispiel Schule und Unterricht.
[PDF, 82K, Artikel vom 03.03.2020]
Der Tagungsband zu der Veranstaltung "TIME FOR CHANGE? Schule zwischen
demokratischem Bildungsauftrag und manipulativer Steuerung" am 03.02.2018
ist erschienen. Erhältlich im
Buchhandel oder zum kostenlosen
Download.
Lehrer raus. Über den Siegeszug der neoliberalen Ideologie in den Schulen
von Christoph Türcke, in: Süddeutsche Zeitung, 09. Februar 2016, und Lehrerdämmerung. Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet
von Christoph Türcke, 2016, ISBN 978-3-406-68882-9
Christoph Türcke kritisiert in seinem Artikel, dass die Schulen sich
inzwischen der neoliberalen Wirtschaft anbieten, indem sie die von der
Wirtschaft geforderten Softskills wie z.B. Teamfähigkeit und kommunikative
Kompetenz vermitteln.
Der Lehrer soll nicht mehr anleiten, er wird zum Lernbegleiter. Statt im
geführten Klassenunterricht Inhalte vermittelt zu bekommen, erwerben die
Schüler im oftmals invidualisierten, selbstgesteuerten Unterricht Strategien.
Die Rechtschreibregeln werden nicht mehr gelernt, sondern eine Strategie
erworben, im Wörterbuch an richtiger Stelle nachzuschlagen. Da dies nicht
fruchten kann, wird das Niveau gesenkt. In der Grundschule gibt es keine
Diktate mehr, sondern nur noch Lückendiktate, die von jedem, nach seinem
individuellen Tempo, bewältigt werden können. In Mathematik wird kein
Einmaleins mehr unterrichtet, sondern "werden selbst oder gemeinsam
Probleme mathematisch" gelöst. Dafür dürfen die Grundschüler die Lösungen
ankreuzen und müssen nicht selbst rechnen. "Kreatives Entdecken" statt
"pauken" heißt die neue Losung.
Der Protest der Lehrerverbände prallt an den Entscheidungsträgern aus
Politik und Wirtschaft ab.
In Christoph Türckes aktuellen Buch: "Lehrerdämmerung. Was die neue
Lernkultur in den Schulen anrichtet" erläutert er seine Kritik
ausführlich.
"Selbstgesteuert" Lernen in der Schule bedeutet, dass sich der einzelne Schüler
mit Lernmaterialien und Lernarrangements ohne Lehrer und ohne Klassengemeinschaft
eigenständig beschäftigen und anhand dessen "Kompetenzen" erwerben soll.
Diese Art zu "lernen" überfordert Schüler, je jünger desto mehr, und hat häufig
Unsicherheiten, Selbstzweifel und Lernschwierigkeiten zur Folge.
Kompetenzorientiertes Lernen führt zu einer radikalen Individualisierung.
Durch das zwangsläufig oberflächliche Arbeiten fallen komplexe
Unterrichtsgegenstände einer Verflachung und Trivialisierung anheim.
Kinder dürfen nicht wie Erwachsene behandelt werden, die in der Lage sind, selbst
für ihre Bildung bzw. Fortbildung zu sorgen. Kinder haben ein Recht auf Orientierung,
Anleitung und Lernen in Beziehung zum Lehrer und zu den Mitschülern. Dies dient auch
der Persönlichkeitsentwicklung, sonst wird ihnen ihre Kindheit geraubt. Hans
Schmid sagt: "Lehrer sind nicht das Problem der Schule, die deshalb zurücktreten
und zu Moderatoren werden müssten, sondern sie sind die Lösung des Problems. Wenn
es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden."
"Es ist gespenstisch: Wie von Geisterhand geführt, hat sich in den letzten Jahren,
von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, eine der radikalsten Veränderungen an Schulen
und Universitäten vollzogen, ein Bruch mit einer jahrhundertealten Tradition, eine
völlige Neuorientierung dessen, was Bildungseinrichtungen zu leisten haben und was
die Absolventen solch einer Einrichtung auszeichnen soll. 'Kompetenzorientierung'
lautet das Zauberwort, …"
Das Konzept der Kompetenzorientierung stammt nicht aus der Pädagogik, sondern aus den
Wirtschaftswissenschaften. Damit sollten Fähigkeiten, Fertigkeiten und
Persönlichkeitsmerkmale von Menschen überprüfbar gemacht werden, um die
Firmenmitarbeiter für den Einsatz im Unternehmen zu optimieren. Auf die Schule
bezogen heißt dies, dass beim Erwerb vom Kompetenzen Inhalte keine Rolle mehr
spielen, denn es geht lediglich um Problemlösungen. Den Schülern wird die
Möglichkeit genommen, sich für Inhalte zu interessieren oder gar davon fasziniert
zu sein. Ein wesentlicher Baustein für die Persönlichkeit des jungen Menschen geht
dadurch verloren.
"Zukünftige Bildungsforscher werden in der Umstellung auf die Kompetenzorientierung
vielleicht den didaktischen Sündenfall unserer Epoche sehen, die Praxis der
Unbildung schlechthin."
Die neue Lernkultur, die sich im Wesentlichen auf die Vermittlung von "Kompetenzen"
beschränkt, verhindert einen erfolgreichen Eintritt ins Berufsleben. Wesentliche
Inhalte werden (auf Grund der erfolgten Schulreformen und neuen Lehrplänen) nicht
mehr vermittelt, sodass den jungen Menschen eine Basis, auf der sie aufbauen
müssten fehlt.
Das Schulsystem in Deutschlang hat in den letzten Jahren viele Veränderungen
erfahren. Schülerzentrierte Unterrichtsformen statt Frontalunterricht und vor
allem die Vermittlung von Kompetenzen stehen im Vordergrund, die meisten
Sachverhalte werden "erschlossen". Das bedeutet, dass Inhalte und das
Einüben bestimmter Vorgänge (beispielsweise das Kopfrechnen) sowie das
Auswendiglernen z. B. von Vokabeln in den Hintergrund gedrängt
beziehungsweise abgeschafft wurden. Dieser Mangel an Wissen und
damit an Ausbildung führt inzwischen dazu, dass viele Schulabgänger die
Lehre oder das Studium abbrechen. Ein Mangel an Fachkräften droht.
Das Kompetenz-Konzept im Kontext einer ökonomisierten Bildung. „Wettbewerb, Effizienz,
Eigenverantwortung, Qualitätsmanagement, Leistungsmessungen – wie Wirtschaftsmethoden
Einzug in die Schulen halten und warum.
Konrad Paul Liessmann: "Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift."
Zsolnay Verlag, Wien 2014, ISBN 9783552057005
Gebunden, 192 Seiten, 17,90€
"Eine Bildung, die auf Verwertbarkeit angelegt ist, ist keine Bildung."
Klappentext: 'Niemand weiß mehr, was Bildung bedeutet, aber alle fordern ihre Reform.
Ein Markt hat sich etabliert, auf dem Bildungsforscher und -experten, Agenturen,
Testinstitute, Lobbys und nicht zuletzt Bildungspolitiker ihr Unwesen treiben.
Nach der "Theorie der Unbildung" nun also ihre Praxis: Das, was sich aktuell in
Klassenzimmern und Hörsälen, in Seminarräumen und Redaktionsstuben, in der virtuellen
Welt und in der realen Politik abzeichnet, unterzieht Konrad Paul Liessmann einer
scharfen Kritik. Hinter der Polemik steht ein ernstes Anliegen: der Bildung und
dem Wissen wieder eine Chance zu geben.'
In der Reihe "Streitschriften zu Bildung" hat die GEW Berlin einen Text von Prof.
Jochen Krautz zum Thema "Kompetenzen machen unmündig" veröffentlicht. Dieser
hinterfragt hochaktuell die überall stattfinde Umgestaltung der Lehrpläne auf
Kompetenzorientierung. Er kritisiert die Vernachlässigung der Inhalte und der
Werteerziehung und die auf Anpassung zielende Kompetenzorientierung. Prof.
Krautz zitiert die Protagonisten und weist anschaulich auf die Folgen für den
Einzelnen und die Gesellschaft hin.
Bemerkenswert an der Broschüre ist das Vorwort der Herausgeber, der GEW Berlin:
Darin wird auf den breiten Graben zwischen den politischen Absichtserklärungen
und dem Berufsalltag der Lehrer hingewiesen. Statt die Erfahrungen aus der
pädagogischen Praxis als leitendes Kriterium heranzuziehen, würden in Bildungsfragen
"die Bewertungen von konzernähnlich geführten Unternehmen wie PISA diktiert". Das von
der Bertelsmannstiftung formulierte Motto "Regieren durch Reformieren" scheine sich
vielfach durchgesetzt zu haben. Damit sei das pädagogische Feld tendenziell der
demokratischen Kontrolle durch die Bürger entzogen. Die "Vergleichgültigung" von
Inhalten und eine Zerlegung von komplexen Prozessen in Einzeltätigkeiten von
Lernzusammenhängen, wie es durch die Einführung von Kompetenzen erfolgt, soll
durch die Veröffentlichung des Aufsatzes kritisch beleuchtet werden und zum
Nachdenken anregen.
In Baden-Württemberg erfolgen die Veränderungen in der
Bildungslandschaft nicht nur über eine Umgestaltung der
Lehrpläne, sondern auch über Veränderung des Schulsystems
an sich. Das bewährte dreigliedrige Schulwesen wird durch
sogenannte Gemeinschaftsschulen ersetzt. Ziel ist eine
"Schule für alle", in der Kinder aller Begabungen gemeinsam
unterrichtet werden. Um die extreme Heterogenität, die in
den Lerngruppen herrscht, pädagogisch handhaben zu können,
werden all die "neuen Lernformen", wie sie im LehrplanPLUS
auch vorgesehen sind, eingeführt: Individualisierendes,
selbstgesteuertes Lernen, Lernbüros, Aufhebung des
Klassenunterrichts, etc…
Im Folgenden können Sie ein Interview mit vier Müttern lesen,
die ihre Erfahrungen mit den Gemeinschaftsschulen auf
Grundschulstufe darlegen, sowie einen Kommentar von Herrn
Rainer Werner, pensionierter Gymnasiallehrer, dazu:
Interview [PDF 208kB] und
Kommentar zum Interview [PDF 127kB].